10 Gründe
zur
Umbenennung der Hindenburgstraße
und
für eine stärkere Berücksichtigung von Matthias Erzberger
im
Stadtzentrum Biberachs
1)
Obwohl auch
Erzberger noch zu Beginn des Ersten Weltkrieges (1914/15) entsprechend
dem damals verbreiteten Chauvinismus für kompromisslose Kriegführung und
militärische Eroberungen plädiert hatte, korrigierte er bald solche
Fehlhaltungen und wandelte sich selbstkritisch zum
Verständigungspolitiker mit überzeugenden Perspektiven zur Schaffung
dauerhaften Friedens.
2)
Fortan waren seine
Bestrebungen darauf gerichtet, den Krieg zu begrenzen, ihn rechtzeitig
durch Verhandlungen zu beenden, den beteiligten Nationen somit weitere
sinnlose Opfer zu ersparen und künftigen Kriegen durch ein
Weltfriedenskonzept vorzubeugen. (Dies versuchte Erzberger z.B. durch
seine Ablehnung des uneingeschränkten U-Boot-Krieges 1916/17, die von
ihm wesentlich veranlasste Friedensresolution des Deutschen Reichstages
im Juli 1917 und nicht zuletzt durch sein Völkerbundbuch von 1918, mit
dem Erzberger prinzipiell schon als ein Vordenker der UNO angesehen
werden kann.)
3)
Hindenburg als Chef
der Obersten Heeresleitung (OHL), der faktisch mit General Ludendorff
eine Militärdiktatur ausübte, war zu lange auf illusionäre Kriegsziele
fixiert und verhängnisvoller Repräsentant eines überkommenen Vorrangs
von militärischem gegenüber politischem Denken. Im Unterschied dazu
stand Erzberger für das Primat der Politik, er wirkte zielstrebig auf
die Parlamentarisierung Deutschlands hin und wurde insgesamt zu einem
der energischsten Vorkämpfer für die Demokratie.
4)
Nachdem endlich
auch die Oberste Heeresleitung die Aussichtslosigkeit der militärischen
Lage erkannt und Deutschland Ende September 1918 mit einer
unvermittelten Waffenstillstandsforderung in eine schwierige
Verhandlungsposition gebracht hatte, übernahm Erzberger als Mitglied der
Reichsregierung die undankbare Aufgabe, den - auch von Hindenburg nun
als notwendig bestätigten - Waffenstillstand zu unterzeichnen.
5)
Gleichwohl machte
Hindenburg 1919 vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss mit
Blick auf Gründe der Niederlage die verhängnisvolle Aussage, das
deutsche Heer sei nicht vom Feinde besiegt, sondern von Kriegsunwilligen
aus der Heimat hinterrücks „erdolcht“ worden.
6)
Mit der maßgeblich von Hindenburg zu verantwortenden „Dolchstoßlegende“
trug der Generalfeldmarschall zu einem Klima der Verleumdung bei, in dem
politische Morde sich häuften und Erzberger als Unterzeichner des
Waffenstillstandes ermordet wurde. Anstatt sich schützend vor Erzberger
zu stellen, hat Hindenburg also Erzberger danach „im Regen stehen“
lassen und jenen Fanatikern preisgegeben, denen er dann zum Opfer fiel.
7)
Hindenburgs
legendäres Verdienst, als „Sieger von Tannenberg“ den Osten des Reiches
1914 vor der Eroberung durch russische Armeen bewahrt zu haben, entpuppt
sich bei näherem Hinsehen vor allem als taktisch-strategische Leistung
seines Generals Ludendorff, der sich 1923 am Hitlerputsch beteiligte.
8)
Selbst wenn
Hindenburg später als Reichspräsident – wohl eher aus Standesgründen als
aus Sorge um die Demokratie – zögerte, Hitler nach dem Wahlsieg der
NSDAP zum Reichskanzler zu ernennen, wurde Hindenburg mit seiner
offenkundig autoritär-monarchistischen Haltung letztlich zu einem
Wegbereiter der Nazi-Diktatur. Es ist nicht erkennbar, dass Hindenburg
versucht hätte, sich etwa Hitlers Ermächtigungsgesetz und der Zerstörung
des Rechtsstaates ernsthaft entgegen zu stellen. Auch deshalb ist Paul
von Hindenburg in der heutigen Zeit nicht mehr gedenkwürdig.
9)
Matthias Erzberger
war hingegen ein Wegbereiter für Frieden, Demokratie und eine
zukunftsweisende Neuordnung des Finanzwesens mit einem gerechteren
Steuersystem, das bis heute grundlegend ist. Mit zwei kleinen, kurz vor
seinem Tod veröffentlichten, Solidarismus-Schriften ließ Erzberger zudem
eine Vision erkennen, die soziale Verantwortung bereits weltweit und
auch für heute aktualisierbar formulierte.
10)
Es könnte als ein Zeichen historischer Aufarbeitung betrachtet werden,
wenn die 1933 von der NSDAP betriebene Umbenennung in Hindenburgstraße
rückgängig gemacht würde. Matthias Erzberger sollte durch eine
Namensgebung im Stadtzentrum Biberachs, eventuell mit einem geeigneten
Platz, angemessen geehrt werden. Der bevorstehende 90. Jahrestag von
Erzbergers Ermordung im August 2011 dürfte eigentlich nicht
verstreichen, ohne dass ein Relikt aus der Nazizeit endlich beseitigt
und ein entsprechendes Signal für ein aufgeklärtes Geschichtsbewusstsein
erfolgte.
Erzberger-Initiative Biberach
Emmi Bast, Gunther Dahinten, Gisela Falk, Hannegret Haas,
Prof. Dr. Egon
Lanz, Elke Linde,Sigrid Ostermeyer,
Ludger Semmelmann, Dr. Alfons Siegel, Marianne Sikora
19. April 2010